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Zweifel an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – Krank ist krank?

28. April 2025

Zweifel an Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen – Krank ist krank?

Ist ein Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt, muss dieser regelmäßig - sofern die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage andauert – spätestens am 4. Tag eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer beibringen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Der Zeitpunkt der Vorlagepflicht kann durch Tarifvertrag, eine Betriebsvereinbarung, individualvertraglich oder auch durch entsprechende Weisung des Arbeitgebers vorgezogen sein. Die Erfüllung der Nachweispflicht des Arbeitnehmers ist dabei Voraussetzung für das Bestehen eines Entgeltfortzahlungsanspruchs während der Krankheit.

Im vergangenen Jahr 2024 waren der Krankenstand und damit die Fehlzeiten unter den Beschäftigten in Deutschland auf einem historischen Höchststand. In der Praxis häuften sich daher auch Fälle vor den Arbeitsgerichten, in denen die Arbeitsunfähigkeit von Arbeitnehmern und der daran geknüpfte Anspruch auf Entgeltfortzahlung trotz Vorlage einer entsprechenden ärztlichen Bescheinigung angezweifelt wurde. Vor allem bei Krankmeldungen unmittelbar nach einer Kündigung hat der Arbeitgeber häufig Anlass, in Zweifel zu ziehen, ob der Mitarbeiter tatsächlich erkrankt ist.

Aus aktuellem Anlass der zahlreichen aktuellen Urteile zu dieser Thematik möchten wir einmal zusammenfassen, wann es erfolgsversprechend sein kann, eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzuzweifeln.

1. Vorliegen von Indizien, die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen

Anlasslos darf eine Arbeitsunfähigkeit nicht angezweifelt werden. Es müssen im konkreten Einzelfall Indizien vorliegen, die Zweifel am Bestehen der Arbeitsunfähigkeit begründen. Solche Indizien sind beispielsweise:

  • Ein zeitlicher Zusammenhang zwischen Kündigungsfrist und der Dauer der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit und/oder zwischen Ausspruch der Kündigung und Beginn der Arbeitsunfähigkeit: Meldet sich der Mitarbeiter nach Erhalt einer Kündigung für die restliche Kündigungsfrist krank, kann die Arbeitsunfähigkeit angezweifelt werden.
  • Ankündigung einer Arbeitsunfähigkeit („Wenn ich keinen Urlaub bekomme, bin ich eben krank“).
  • Krankmeldung für einen Zeitraum, für den zuvor Urlaub beantragt und vom Arbeitgeber nicht gewährt wurde
  • Das Verhalten des Arbeitnehmers während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit, das so stark im Widerspruch zu der Krankschreibung steht, dass sich auch für einen Laien die Unvereinbarkeit der Krankheit mit dem tatsächlichen Verhalten aufdrängt.
  • Die Ausübung einer Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber während der Dauer der Krankschreibung.
  • Krankmeldung unmittelbar nach einem Kritikgespräch/Spannungen am Arbeitsplatz.
  • Rückdatierung der Bescheinigung um mehr als 3 Tage.

2. Darlegungslast des Arbeitnehmers nach Erschütterung des Beweiswertes

Gelingt dem Arbeitgeber durch Vortrag der Indiztatsachen die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ist es wieder Sache des Arbeitnehmers, konkret darzulegen und zu beweisen, dass er trotz der Zweifel tatsächlich krank war. Dazu muss der Arbeitnehmer vortragen,

  • welche Krankheiten vorgelegen haben,
  • welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und
  • welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden.

Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben (BAG, Urt. v. 18.9.2024 – 5 AZR 29/24; BAG, Urt. v. 13.12.2023 – 5 AZR 137/23). In der Praxis ist häufig zu beobachten, dass diese Schilderungen von Arbeitnehmern, die tatsächlich nicht krank waren, nicht entsprechend den Anforderungen der Rechtsprechung erbracht werden können. Auch der behandelnde Arzt, der ggf. als Zeuge gehört wird, kann sich in der Regel nicht ausreichend detailliert zu der angeblichen Erkrankung, zur Untersuchung, der Diagnostik und zur empfohlenen Therapie äußern, wenn die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht ist.

Kann sich der Arbeitnehmer nicht zu den konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und deren Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit äußern, so gilt er nicht als arbeitsunfähig und hat keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Hat der Arbeitgeber bereits Entgeltfortzahlung geleistet, so kann der Arbeitgeber die Zahlung zurückverlangen (LAG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 5.7.2024 – 12 Sa 1266/23).

Liegt der Verdacht vor, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit vorsätzlich vorgetäuscht hat, um sich Entgeltfortzahlung zu erschleichen, steht auch der Ausspruch einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung im Raum.

Hierzu ein Beispiel aus der Rechtsprechung (LAG Niedersachsen, Urt. v. 8.7.2024 – 15 SLa 127/24):

Die Arbeitnehmerin war als Sekretärin an einer Grundschule beschäftigt und beantragte zu Beginn der Sommerferien für den 05.07.23 und 06.07.23 Urlaub. Der Antrag wurde durch die Arbeitgeberin abgelehnt. Daraufhin teilte die Arbeitnehmerin am 5.7.2023 der Schulleiterin telefonisch mit, dass sie krank sei. Für die Zeit vom 5.7.2023 bis zum 7.7.2023 legte sie eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vor. Am 6.7.2023 nahm die Klägerin an einem Trainer-Lizenz-Lehrgang der Landesturnschule teil. Die Grundschule äußerte gegenüber der Klägerin in der Folge den Verdacht der vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit und hörte sie dazu an. Die Klägerin teilte mit, dass sie am 5.7.2023 starke Krankheitssymptome gehabt hätte, nach einem Arztbesuch am Mittwoch und der Einnahme der verschriebenen Medikamente jedoch umgehend Besserung eingetreten sei. Am 6.7.23 habe sie sich so gut gefühlt, dass sie beschloss, an der Schulung teilzunehmen.

Mit Schreiben vom 18.7.2023 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht wiesen die Kündigungsschutzklage der Arbeitnehmerin mit der Begründung ab, die Klägerin habe nicht dazu vorgetragen, welche konkreten Krankheiten bzw. Symptome vorgelegen hätten und weshalb sie darauf schließen durfte, auch noch am begehrten Tag der Freistellung arbeitsunfähig gewesen zu sein. Der Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei dem LAG Niedersachsen zufolge dadurch erschüttert gewesen, dass diese für einen Zeitraum ausgestellt sei, für den die Klägerin zuvor Urlaub beantragt hatte. Außerdem habe sie, wie von vornherein beabsichtigt, an einem Lehrgang teilgenommen und auch keine Angaben zu den genauen Ursachen der Arbeitsunfähigkeit gemacht.

Damit war die fristlose Kündigung wirksam.

3. Auswirkungen auf die Praxis

Die angeführten Urteile haben hohe Praxisrelevanz und bilden die aktuelle Rechtsprechungslinie der Arbeitsgerichte, die sich in jüngerer Vergangenheit angesichts zunehmender Krankenstände auch häufiger mit derartigen Zweifelsfällen zu beschäftigen hatten. Eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit kann wie oben gesehen dazu führen, dass der Arbeitgeber keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten muss oder bereits geleistete Entgeltfortzahlung zurückverlangen kann. Auch eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung ist möglich, wenn zumindest der dringende Verdacht einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit besteht.

Leider ist zu beobachten, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall sehr regelmäßig missbraucht wird, um sich abgelehnten Urlaub auf andere Weise zu sichern oder nach einer Kündigung eine faktische Freistellung zu bewirken. Erfreulicherweise gibt die Rechtsprechung Arbeitgebern Handlungsmöglichkeiten an die Hand, um gegen einen solchen Missbrauch vorzugehen. Mitarbeiter, die nicht wirklich krank sind, sondern nur aus Gefälligkeit krankgeschrieben wurden, können häufig nicht die hohen Anforderungen an den Vortrag zur Erkrankung darlegen und haben in der Folge keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung.

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Inga Leopold und wissenschaftliche Mitarbeiterin Maike Usadel

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