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Wirksame Kündigung bei Verdacht auf Arbeitszeitbetrug

28. August 2023

Wirksame Kündigung bei Verdacht auf Arbeitszeitbetrug

Worum geht es?

Die Verdachtskündigung ist eine besondere Kündigungsform, die dann zur Anwendung kommt, wenn der dringende Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung des Arbeitnehmers besteht, die, sollte sie tatsächlich begangen worden sein, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen würde. Kündigungsgrund ist dann nicht ein nachgewiesenes Fehlverhalten des Mitarbeiters, sondern der Umstand, dass angesichts der begründeten Verdachtsmomente eine weitere Zusammenarbeit ausgeschlossen ist.

Ein in unserer Praxis häufig vorkommender Anwendungsfall für die Verdachtskündigung ist der Verdacht des Arbeitszeitbetrugs: Kollegen oder Vorgesetzten eines Mitarbeiters fällt auf, dass dessen im Zeiterfassungssystem gebuchte Zeiten von den beobachteten Anwesenheits-/Arbeitszeiten abweichen. Hat der Mitarbeiter hierfür keine überzeugende Erklärung, ist das Vertrauen in dessen Redlichkeit in der Regel so weit zerstört, dass der Ausspruch einer außerordentlichen, jedenfalls aber einer ordentlichen Kündigung im Raum steht.

Der Fall

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern (LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 28.3.2023 – 5 Sa 128/22) hatte sich kürzlich mit dem Fall eines in einer Behörde Beschäftigten zu befassen, der Kündigungsschutzklage wegen einer vom Arbeitgeber ausgesprochenen ordentlichen Verdachtskündigung erhoben hatte. Der Arbeitsort des Beschäftigten war das Dienstgebäude der Behörde. Der Kläger konnte mit Zustimmung seiner Vorgesetzten auch von zuhause aus mobil arbeiten. Seine Arbeitszeit hatte der Kläger an einem stationären Zeiterfassungsgerät im Dienstgebäude oder online am Computer zu erfassen, indem er „kommen“ und „gehen“ stempelte.

Der Vorgesetzen des Klägers fiel auf, dass dieser – obwohl er in Vollzeit und sie selbst in Teilzeit arbeitete – häufig erst nach ihr zur Arbeit kam und das Dienstgebäude vor ihr wieder verließ. Sie glich daraufhin ihre Notizen zur Anwesenheit des Klägers mit den Einträgen im Arbeitszeiterfassungssystem ab. Hierbei fiel auf, dass das Arbeitszeitkonto an mehreren Tagen im Oktober 2021 Diskrepanzen zwischen den Arbeitszeitbuchungen und der tatsächlichen Anwesenheit des Klägers aufwies. An Tagen, an denen er nicht mobil gearbeitet hatte, hatte sich der Kläger zunächst online über das Zeiterfassungssystem eingebucht, während er sich tatsächlich aber nicht im Dienstgebäude befand. Für denselben Tag gab es dann im Laufe des Vormittags eine ebenfalls online erfolgte „Gehen“-Meldung und unmittelbar im Anschluss eine am Terminal vorgenommene „Kommen“-Meldung. Ebenfalls am Terminal hatte sich der Kläger später wieder ausgebucht.

Es bestand daraufhin der Verdacht, dass der Kläger sich morgens online (von zu Hause aus) im System angemeldet hatte, obwohl er die Arbeit erst deutlich später im Büro aufgenommen hatte. Auch wurde offenbar, dass der Kläger sich seit Beginn des Jahres 2021 regelmäßig online – statt am stationären Terminal – im Zeiterfassungssystem als anwesend gebucht hatte, obwohl er an dem betreffenden Tag nicht mobil gearbeitet hatte.

Daraufhin wurde der Kläger wiederholt schriftlich und mündlich zu dem Verdacht des Arbeitszeitbetrugs angehört. Jedoch konnte er die Diskrepanzen zwischen den online vorgenommenen Zeitbuchungen und der tatsächlichen Anwesenheit am Dienstort an den drei Tagen im Oktober 2021 nicht widerspruchslos erklären. Daraufhin sprach die Beklagte im Februar 2022 nach vorheriger Anhörung des Personalrates die ordentliche Kündigung aus.

Das Arbeitsgericht befand die Kündigung für wirksam. Gegen diese Entscheidung legte der Kläger Berufung beim Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern ein.

Die Entscheidung des LAG Mecklenburg-Vorpommern

Das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern entschied, dass das Arbeitsgericht die Klage zu Recht und mit der zutreffenden Begründung abgewiesen hatte.

Eine Verdachtskündigung ist als ordentliche personenbedingte Kündigung sozial gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies ist der Fall, wenn der Verdacht dringend ist, also auf konkreten, vom Kündigenden darzulegenden und ggf. zu beweisenden Tatsachen beruht. Die Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit des Verdachtes muss größer sein als dessen Unwahrscheinlichkeit. Die Rechtfertigung der Verdachtskündigung scheidet daher so lange aus, wie der Arbeitgeber nicht alle zumutbaren Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts ergriffen hat. Dabei muss er dem Arbeitnehmer insbesondere die Möglichkeit eröffnen, Stellung zu den Vorwürfen zu nehmen.

Für den Verdacht des Arbeitszeitbetruges ist dabei festzuhalten, dass dieser an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darzustellen und den Arbeitgeber somit zur außerordentlichen Kündigung berechtigen würde. Das Vertrauen des Arbeitgebers wird durch die vorsätzlich falsche Erfassung der Arbeitszeit so nachhaltig erschüttert, dass ihm die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar ist.

Im vorliegenden Fall bestand der dringende Verdacht, dass der Kläger an mehreren Tagen frühmorgens Arbeitszeiten von zu Hause aus gebucht hatte, ohne die Arbeit tatsächlich aufzunehmen. An Tagen, an denen der Kläger gemäß seiner Buchung anwesend war, hatte die Teamleiterin sein Büro mehrfach aufgesucht und dieses verschlossen vorgefunden. Im Büro waren in diesem Zeitraum keinerlei Veränderungen festzustellen, die auf eine Anwesenheit bzw. Arbeitstätigkeit des Klägers hindeuteten, obwohl er online eingebucht war. Da der Kläger sich aber im Vorfeld nicht mit seiner Teamleiterin auf mobiles Arbeiten geeinigt hatte, gab es keine andere Erklärung für seine Abwesenheit am Arbeitsplatz, als dass er sich unberechtigt von zuhause eingebucht hatte.

Die Interessenabwägung fiel – trotz seines 16-jährigen Beschäftigungsverhältnisses – zu Ungunsten des Klägers aus. Insbesondere die Arbeit im Gleitzeitmodell erfordere dem Landesarbeitsgericht zufolge ein redliches Verhalten des Arbeitnehmers, da der Arbeitgeber auf die korrekte Erfassung der Arbeitszeit vertrauen können muss. Daher entschied das Gericht, dass die personenbedingte Verdachtskündigung sozial gerechtfertigt war und das Arbeitsverhältnis somit wirksam beendet worden war.

Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts verdeutlicht einmal mehr, dass vorsätzlicher Arbeitszeitbetrug eine schwerwiegende Pflichtverletzung darstellt, die auch dann eine Kündigung rechtfertigen kann, wenn der Arbeitgeber zwar nicht voll beweisen kann, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich falsche Angaben im Zeiterfassungssystem getätigt hat, jedenfalls aber ein dringender Verdacht des Arbeitszeitbetrugs vorliegt.

Wichtig ist in diesem Zusammenhang:

  • Ermittlungsmaßnahmen, die in Persönlichkeitsrechte des Mitarbeiters eingreifen, sind nur zulässig, wenn konkrete Verdachtsmomente aufgekommen sind. Eine Überwachung von Arbeitnehmern ins Blaue hinein ist unzulässig und kann zu Beweisverwertungsverboten führen.
  • Der Mitarbeiter muss vor Ausspruch einer Kündigung angehört werden. Aus Beweiszwecken sollte die Anhörung schriftlich erfolgen. Der Mitarbeiter muss ausreichend lange Zeit bekommen, zu den Vorwürfen Stellung zu nehmen (Faustregel: 1 Woche).
  • Soll eine außerordentliche Kündigung ausgesprochen werden, ist Eile geboten: Ab Bekanntwerden der ersten Verdachtsmomente muss der Sachverhalt mit der gebotenen Eile aufgeklärt und sodann innerhalb von 2 Wochen die Kündigung ausgesprochen werden. Die Beteiligung eines evtl. vorhandenen Betriebs- oder Personalrats muss innerhalb dieser Frist erfolgen.

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Inga Leopold und stud. iur. Maike Usadel

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