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Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe? Ein Urteil mit Signalwirkung für Arbeitgeber

13. Oktober 2025

Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe? Ein Urteil mit Signalwirkung für Arbeitgeber

Das Arbeitsrecht hält unzählige Möglichkeiten bereit, Arbeitnehmern neben ihrer monatlichen Festvergütung separate Boni zu gewähren. Vor allem in Führungspositionen werden hierzu Zielvorgaben eingesetzt, um die Performance der Arbeitnehmer effektiv zu steigern, indem diese beim Erreichen des Ziels eine variable Vergütung erhalten.

Doch was passiert, wenn der Arbeitgeber die Zielvorgaben für eine Bonuskomponente zu spät oder überhaupt nicht festlegt?

Der nachfolgend skizzierte Fall (BAG Urt. v. 19.2.2025 – 10 AZR 57/24; https://www.bundesarbeitsgericht.de/entscheidung/10-azr-57-24/) illustriert, welche verheerenden Auswirkungen die fehlende oder verspätete Mitteilung der Zielvorgabe für den Arbeitgeber haben kann.

I. DER SACHVERHALT

Die Parteien stritten über Schadensersatz wegen entgangener erfolgsabhängiger Vergütung. Der Arbeitnehmer war in dem Unternehmen von Juli 2016 bis Ende November 2019 als Mitarbeiter mit Führungsverantwortung angestellt, wobei der Arbeitsvertrag eine variable Vergütung vorsah, die durch eine Betriebsvereinbarung näher ausgestaltet war. Hiernach sollten bis zum ersten März eines jeden Jahres Ziele vorgegeben werden, welche zu 70% aus Unternehmenszielen bestanden und zu 30% individueller Natur waren. Die Höhe des variablen Gehaltsbestandteils war von der Zielerreichung abhängig.

Für 2019 wurde dem Arbeitnehmer das Unternehmensziel erst am 18.10.2019, mithin nach über drei Vierteln der Zielperiode mitgeteilt, wobei die Mitteilung individueller Ziele vollständig ausblieb. Er machte geltend, dass er bei rechtzeitiger Zielvorgabe die unternehmerischen Ziele zu 100% und die individuellen Ziele entsprechend dem Durchschnittswert zu 142% erreicht hätte. Auf Grundlage dieser Gesamtzielerreichung von 112,6 % stünden ihm abzüglich der für 2019 bereits gezahlten Leistung weitere 16.035,94 Euro Schadensersatz zu.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht gab dem Arbeitnehmer Recht. Mit der Revision will der Arbeitgeber beim Bundesarbeitsgericht erreichen, dass die Klage final abgewiesen wird.

II. DIE ENTSCHEIDUNG DES Bundesarbeitsgerichts (BAG)

Das BAG bestätigte das Urteil des LAG Köln, wonach dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf Schadensersatz nach §§ 280 Abs.1, Abs. 3, 283 S.1 BGB zustehe und wies damit die Revision des Arbeitgebers zurück. Nachdem etwa drei Viertel der Zielerreichungsperiode verstrichen waren, sei eine dem billigen Ermessen (§ 315 Abs. 1 BGB) entsprechende Zielvorgabe mit Anreiz- und Motivationsfunktion nicht mehr möglich. Dem Arbeitgeber obliege nach den in der Betriebsvereinbarung festgelegten Regeln die Initiativlast, rechtzeitig Ziele für das Jahr zu bestimmen und diese mit dem Arbeitnehmer abzustimmen. Den Arbeitnehmer treffe auch kein Mitverschulden (§ 254 Abs. 1 BGB). Da der Arbeitgeber versäumt hatte, rechtzeitig Ziele vorzugeben, lagen die Voraussetzungen des Schadensersatzanspruchs in der vom Arbeitnehmer geltend gemachten Höhe vor.

III. EINORDNUNG DES URTEILS UND AUSWIRKUNGEN AUF DIE PRAXIS

Mit dem aktuellen Grundsatzurteil stellt das BAG erneut klar, dass Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch gegen ihren Arbeitgeber haben können, wenn dieser die Zielvorgaben nicht (rechtzeitig) bestimmt. Das Urteil stärkt die Position des Arbeitnehmers und unterstreicht die enorme Bedeutung von frühzeitiger und verbindlicher Festlegung der Zielvorgaben, insbesondere in Führungspositionen. Denn ohne klare Ziele kann eine variable Vergütung ihre Motivations- und Anreizfunktion nicht erfüllen und wird in der Regel die volle variable Vergütung ausgezahlt werden müssen.

Wichtig ist dabei für Arbeitgeber vor allem:

  • Rechtzeitige Mitteilung der Zielvorgabe: Achten Sie auf eine rechtzeitige Mitteilung der Zielvorgabe, damit diese ihre Anreiz- und Motivationsfunktion innerhalb der Zielperiode erfüllen kann. Andernfalls setzen Sie sich des Risikos eines Schadensersatzanspruchs seitens Ihres Arbeitnehmers aus.
  • Sorgfältige Formulierung der Zielvorgabe: Die Zielvorgabe sollte strukturiert und nachvollziehbar formuliert werden, sodass aus Sicht des Arbeitnehmers stets klar ist, was von diesem verlangt wird. Dies hilft außerdem dabei, eine gerichtsfeste Argumentation zur Hand zu haben, falls die Ziele nicht erreicht wurden und der Mitarbeiter dies einer gerichtlichen Überprüfung zuführt.

Wurde die rechtzeitige Vorgabe von Zielen versäumt, ist nicht in allen Fällen gesetzt, dass der Mitarbeiter 100% der variablen Vergütung erhält: Lässt sich belegen, dass die Ziele auch bei rechtzeitiger Zielvorgabe nicht oder zu einem geringen Anteil erreicht worden wären, ist dies bei der Bemessung des Schadensersatzes zu berücksichtigen.

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Inga Leopold und stud. iur. Jule Bausmann

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