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„Kein Urlaub vom Urlaub“: Das Bundesarbeitsgericht ändert und festigt seine Rechtsprechung zum Entstehen von Urlaubansprüchen bei Sonderurlaub und Elternzeit

21. März 2019

Das BAG hatte am 19.03.2019 erneut über Urlaubsansprüche zu entscheiden. Gegenstand der Verfahren waren diesmal zum einen die Frage der Entstehung des Urlaubsanspruchs für die Zeit des unbezahlten Sonderurlaubs (Az. 9 AZR 315/17), zum anderen die Kürzungsmöglichkeit des Arbeitgebers beim Urlaubsanspruch der Arbeitnehmer in der Elternzeit (Az. 9 AZR 362/18).

Erster Fall: Kein Urlaubsanspruch bei unbezahltem Sonderurlaub

In dem ersten Fall hatten Arbeitgeber und Arbeitnehmerin einen unbezahlten Sonderurlaub vereinbart. Dadurch hatte die Arbeitnehmerin im Jahr 2014 überhaupt nicht arbeiten müssen. Nach der Rückkehr der Arbeitnehmerin entstand zwischen den Parteien Streit über die Höhe der der Arbeitnehmerin zustehenden Urlaubsansprüche. Die Arbeitnehmerin war der Auffassung, auch in der Zeit des Sonderurlaubs den vollen Urlaubsanspruch erworben zu haben; die Arbeitgeberin hatte die Urlaubsansprüche für diese Zeit gekürzt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der TVöD Anwendung. Dieser sieht in § 26 Abs. 2 lit. c vor, dass sich die Dauer des Erholungsurlaubs um je 1/12 für jeden vollen Kalendermonat vermindert, in dem das Arbeitsverhältnis ruht.

Die Vorinstanz gab der Arbeitnehmerin zumindest teilweise Recht. Nach Ansicht der 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Berlin könne die Kürzungsregelung des TVöD lediglich auf den tariflichen Mehrurlaub, nicht aber auf den gesetzlichen Mindesturlaub Anwendung finden (LAG Berlin-Brandenburg 20.06.2017, Az. 11 Sa 2068/16).

Bisherige BAG Rechtsprechung

Noch im Jahr 2014 vertrat das BAG die Auffassung, dass ein Ruhen des Arbeitsverhältnisses keinen Einfluss auf die Entstehung des Urlaubsanspruchs habe. Das Entstehen des Urlaubsanspruchs setze lediglich das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses voraus. Auf die Erbringung von Arbeitsleistungen komme es dagegen nicht an, so dass die Gewährung von unbezahltem Sonderurlaub grundsätzlich nicht das Entstehen gesetzlicher Urlaubsansprüche beeinflusse (BAG Urteil v. 06.05.2014, 9 AZR 678/12). Eine Kürzungsvorschrift wie in § 26 Abs. 2 lit. c TVöD verstoße in unzulässiger Weise gegen §§ 13 Abs. 1, 3 BUrlG und sei deshalb unwirksam.

Diese Rechtsprechung hat das BAG nun ausdrücklich aufgegeben. Nach den Ausführungen in der Pressemitteilung Nr. 15/19 ist für das Entstehen von Urlaubsansprüchen zu berücksichtigen, ob die Arbeitsvertragsparteien  durch die Vereinbarung von Sonderurlaub ihre gegenseitigen Hauptleistungspflichten vorübergehend ausgesetzt haben. Befindet sich der Arbeitnehmer in einem Kalenderjahr durchgehend in einem unbezahlten Sonderurlaub, erwirbt er keinen Anspruch auf Erholungsurlaub.

Unbezahlter Sonderurlaub wie Teilzeit „Null“

Die Begründung des Bundesarbeitsgerichts ist durchaus nachvollziehbar: Entgegen der noch 2014 vertretenen Auffassung zieht das Gericht nun eine Parallele zu Teilzeit-Arbeitnehmern. Wenn sich die Arbeitszeit auf 6 Tage in der Woche verteilt, beträgt der gesetzliche Mindesturlaub gem. § 3 BUrlG 24 Tage. Reduziert sich die Zahl der wöchentlichen Arbeitstage, reduziert sich ebenfalls der Umfang des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, z.B. auf 20 Urlaubstage bei einer 5-Tage-Woche. Dadurch wird bei allen Mitarbeitern eine gleichwertige, dem Arbeitsrhythmus entsprechende Urlaubsdauer gewährleistet. Bei denjenigen Mitarbeitern, die in dem einschlägigen Kalenderjahr überhaupt nicht gearbeitet haben, entsteht dementsprechend überhaupt kein Urlaubsanspruch („Teilzeit ‚Null‘“). Eine Verletzung des § 3 BUrlG liegt deshalb nicht vor, so dass § 24 Abs. 2 lit. c TVöD nicht zulasten des Arbeitnehmers vom Bundesurlaubsgesetz abweicht und damit wirksam ist.

Noch offen: Kürzung nur bei ganzjährigem Sonderurlaub?

Der konkrete Fall betraf die Situation, in der die Arbeitnehmerin in dem kompletten Kalenderjahr überhaupt nicht gearbeitet hatte. Allerdings erwähnt das BAG in der Pressemitteilung Arbeitnehmer, die sich

„…im Urlaubsjahr ganz oder teilweise im unbezahlten Sonderurlaub…

befinden. Dieser Äußerung ist zu entnehmen, dass für den Sonderurlaub, der nur für einen Teil des Kalenderjahres vereinbart wird, nichts anderes gelten kann als bei einer ganzjährigen Aussetzung der Arbeitspflicht. Auch hier muss der Urlaubsanspruch konsequenterweise (anteilig) reduziert werden. Andernfalls hätte ein Arbeitnehmer, der beispielsweise nur einen Monat gearbeitet und während der übrigen 11 Monate eines Kalenderjahres im Sonderurlaub war, einen Urlaubsanspruch von 20 Tagen erworben, wenn sich seine Arbeitszeit in dem einen Monat der Beschäftigung auf 5 Tage in der Woche verteilt hat. Dies würde dem Prinzip einer gleichwertigen, dem Arbeitsrhythmus entsprechenden Urlaubsdauer widersprechen. 

Zweiter Fall: Reduzierung des Urlaubsanspruchs wegen Elternzeit

In dem zweiten Verfahren ging es um die Frage, ob § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG europarechtskonform ist. Diese Vorschrift sieht für den Arbeitgeber die Möglichkeit vor, den Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers um 1/12 pro Monat der Elternzeit zu kürzen. In Anwendung dieser Vorschrift hatte der später beklagte Arbeitgeber den Urlaubsanspruch einer Mitarbeiterin für die Dauer der von ihr in Anspruch genommenen Elternzeit anteilig gekürzt.

Die Klägerin hielt § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG für europarechtswidrig. Art. 7 Abs. 1 Richtlinie 2003/88/EG (Arbeitszeitrichtlinie) gewähre schließlich jedem Arbeitnehmer Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub, der nicht davon abhängig gemacht werden dürfe, ob der betroffene Arbeitnehmer tatsächlich gearbeitet hat. Eine solche Kürzungsmöglichkeit  wie die des § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG sehe die Arbeitszeitrichtlinie nicht vor.

§ 17 BEEG verstößt nicht gegen Europarecht

Diese Ansicht teilte das BAG nicht. Nach der Auffassung der Erfurter Richter sieht das Unionsrecht nicht zwingend eine Gleichbehandlung derjenigen Arbeitnehmer, die wegen der Elternzeit von der Arbeitsleistung befreit sind, mit denjenigen, die tatsächlich gearbeitet haben, vor. Vor dem Hintergrund, dass der Europäische Gerichtshof erst vor wenigen Monaten (EuGH 4.10.2018 C-12/17) über eine, der deutschen ähnliche, Kürzungsregelung aus dem rumänischen Arbeitsrecht entschieden und deren Vereinbarkeit mit Europarecht bestätigt hatte, kam die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zu § 17 BEEG wenig überraschend. Der EuGH hatte insbesondere hervorgehoben, dass die Arbeitnehmer, die aufgrund einer beanspruchten Elternzeit der Arbeit fernbleiben dürfen, nicht mit denjenigen gleichzustellen sind, die aufgrund einer Arbeitsunfähigkeit nicht gearbeitet haben. Die wegen einer Erkrankung von der Arbeitspflicht befreiten Arbeitnehmer sind denjenigen, die tatsächlich gearbeitet haben, gleichzustellen, weil die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht vorhersehbar ist und nicht auf einer freiwilligen Entscheidung des Arbeitnehmers beruht. In dieser Hinsicht unterscheiden sich die beiden Personengruppen, weil die Inanspruchnahme des Elternurlaubs nicht unvorhersehbar ist und auf dem Wunsch des Arbeitnehmers beruht, sich um sein Kind zu kümmern.

Stellungnahme

Beide Entscheidungen des BAG sind zu begrüßen. Die Fälle des unbezahlten Sonderurlaubs und der Elternzeit unterscheiden sich wesentlich von den Fällen der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit, in denen der Arbeitnehmer besonderen Schutz genießt. Bei beiden Fällen – Elternzeit und Sonderurlaub – beruht die Aussetzung der Arbeitspflicht auf einer bewussten und freiwilligen Entscheidung des Arbeitnehmers. Aus diesem Grund sind diese Konstellationen nicht mit einer Arbeitsunfähigkeit bzw. dem Beschäftigungsverbot während und nach der Schwangerschaft vergleichbar, für deren Dauer keine Kürzung der Urlaubsansprüche zulässig ist.

Die Entscheidungen sind von großer praktischer Relevanz. Die Entscheidung zu § 17 BEEG stellt die in der Praxis vollkommen übliche Kürzung des Urlaubs während der Elternzeit auf eine rechtssichere Grundlage, während die Rechtsprechungsänderung zum Sonderurlaub den Handlungsspielraum der Arbeitsvertragsparteien vergrößert und die finanzielle Belastung für den Arbeitgeber verringert. Zahlreiche Tarifverträge sehen Kürzungsvorschriften für Zeiten eines Sonderurlaubs bzw. eines ruhenden Arbeitsverhältnisses vor. Die nun richtigerweise aufgegebene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Unwirksamkeit solcher Vorschriften führte in der Vergangenheit dazu, dass Arbeitgeber nur zögerlich bereit waren, Vereinbarungen über längere unbezahlte Freistellungen (für Sonderurlaub, Sabbaticals usw.) einzugehen, war es doch nicht möglich, das Entstehen von Urlaubsansprüchen für diese Zeit auszuschließen. Jedenfalls die der Pressemitteilung zu entnehmenden Argumente des Bundesarbeitsgerichts lassen darauf schließen, dass auch einzelvertragliche Kürzungsvorschriften künftig wirksam sein dürften.

Die Rechtsprechung dürfte auch Auswirkungen haben auf die Urlaubsansprüche, die während einer befristeten Erwerbsminderungsrente entstehen: Viele Tarifverträge sehen vor, dass während des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente das Arbeitsverhältnis ruht. Entsprechende Kürzungsvorschriften für diese Zeiten sind nach der neuen Rechtsprechung wirksam, so dass sich eindeutig positive finanzielle Auswirkungen ergeben – denn häufig steht im Anschluss an eine befristete Erwerbsminderungsrente das Ende des Arbeitsverhältnisses an und damit die Gewährung oder Auszahlung der noch offenen Urlaubsansprüche.

Autoren dieses Beitrags:

Radoslaw Kleczar, Rechtsanwalt

Inga Leopold, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Arbeitsrecht


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