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Kein Präventionsverfahren bei Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter während der Wartezeit

16. September 2025

Kein Präventionsverfahren bei Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter während der Wartezeit

Nachdem das Arbeitsgericht und das LAG Köln die Kündigung eines schwerbehinderten Mitarbeiters in der Wartezeit für unwirksam erklärt hatten, weil der Arbeitgeber zuvor kein Präventionsverfahren im Sinne des § 167 SGB IX durchgeführt hatte, hat das BAG (Urt. v. 3.4.2025, 2 AZR 178/24) nun für Klarheit gesorgt. In einer aktuellen Entscheidung stellte es klar, dass ein Arbeitgeber während der sechsmonatigen Wartezeit des KSchG (umgangssprachlich „Probezeit“) kein Präventionsverfahren durchführen muss, um einen schwerbehinderten Arbeitnehmer zu kündigen.

Der Sachverhalt

Der Arbeitnehmer war mit einem Grad der Behinderung von 80 anerkannt schwerbehindert. Er begann bei dem Arbeitgeber als Leiter der Haus- und Betriebstechnik. Nach drei Monaten – noch innerhalb der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG – kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis, da er den Arbeitnehmer für fachlich ungeeignet hielt.

Der Arbeitnehmer setzte sich gegen diese Kündigung gerichtlich zur Wehr. Er führte an, dass die Kündigung unwirksam sei, weil der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung kein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt hatte und ihm keinen behindertengerechten Arbeitsplatz angeboten habe. Außerdem diskriminiere die Kündigung ihn.

Was ist ein Präventionsverfahren?

Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist ein gesetzlich vorgesehenes Verfahren, das den Arbeitgeber dazu anhält, bei auftretenden personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses mit schwerbehinderten Arbeitnehmern ein Gespräch einzuleiten, um zu versuchen, die Probleme aus der Welt zu schaffen.

An einem Präventionsverfahren sollen die Schwerbehindertenvertretung, der Arbeitgeber, der Betriebsrat und das Integrationsamt teilnehmen. Ziel ist es, eine Lösung zu finden, wie der schwerbehinderte Arbeitnehmer weiter bei dem Arbeitgeber arbeiten kann.

Zu unterscheiden ist das Präventionsverfahren vom betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM), das dann zum Tragen kommt, wenn Beschäftigte länger als 6 Wochen in einem Jahr krankheitsbedingt ausfallen, und auch von der stufenweisen Wiedereingliederung nach längerer Erkrankung.

Entscheidung des BAG

Das BAG stellte in seiner Entscheidung nun klar: Vor Ausspruch einer Kündigung in der Wartezeit des Kündigungsschutzgesetzes besteht keine Verpflichtung, vor Ausspruch der Kündigung ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen.

Das BAG begründet seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass die Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX ihrem Wortlaut nach an die Terminologie des Kündigungsschutzgesetzes anknüpfe. Arbeitnehmer würden den Schutz des KSchG auch erst dann genießen, wenn die Wartezeit erfüllt ist – also nach sechs Monaten. Die Vorschrift des § 167 Abs. 1 SGB IX und deren Anwendungsfälle knüpften genau an die Begriffe des § 1 Abs. 2 KSchG an. Es bestehe ein systematischer Zusammenhang zum KSchG. Hätte der Gesetzgeber unabhängig von der Anwendbarkeit des KSchG ein Präventionsverfahren für erforderlich gehalten, hätte er eine andere Terminologie, wie beispielsweise „Schwierigkeiten im Arbeitsverhältnis“, nehmen können.

Konsequenterweise führt das BAG in dem Zusammenhang aus, dass ein Präventionsverfahren nur dann erforderlich sein kann, wenn der Arbeitnehmer mehr als sechs Monate beschäftigt ist und es sich nicht um einen sog. Kleinbetrieb handelt.

Zudem sehe § 167 Abs. 1 SGB IX im Gegensatz zu § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX keine Unwirksamkeitsfolge vor.

Auswirkungen für die Praxis

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Arbeitgeber. In der Wartezeit besteht keine Pflicht, vor Ausspruch einer Kündigung ein Präventionsverfahren durchzuführen.

Es bleibt aber dabei, dass nicht wegen der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers gekündigt werden darf. Dies stellt nämlich eine Diskriminierung nach § 164 Abs. 2 SGB IX i.V.m. § 22 AGG dar und führt zur Nichtigkeit der Kündigung nach § 134 BGB. Es empfiehlt sich also, die zum Kündigungswunsch führenden sachlichen Gründe sorgfältig zu dokumentieren, um den Anschein einer behinderungsbedingten Kündigung auszuschließen. Ungeachtet der Rechtsprechung zur Durchführung eines Präventionsverfahrens besteht auch weiterhin auch in der Wartezeit ein Anspruch auf behindertengerechte Beschäftigung nach § 164 SGB IX.

Rechtsanwältin Charlotte Zimmermann

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