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Erste Urteile zur Durchsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

26. November 2024

Erste Urteile zur Durchsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung

Das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschied am 13.09.2022 (1 ABR 22/21) bekanntermaßen, dass sich aus der unionsrechtskonformen Auslegung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergibt, die Arbeitszeit der Mitarbeitenden – nicht zwingend elektronisch – aufzuzeichnen (siehe hierzu unseren Beitrag ). Dieses Urteil sorgte für großes Aufsehen, weil damit das Ende der Vertrauensarbeitszeit befürchtet wurde.

Da die Verletzung von § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG jedoch nicht unmittelbar bußgeldbewehrt ist, kam schnell die Frage nach den Konsequenzen einer Verletzung dieser Verpflichtung auf. Nun befasst sich ein aktuelles Urteil des VG Hamburg vom 21.08.2024 (15 K 964/24) mit der öffentlich-rechtlichen Durchsetzung der Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.

I. Worum geht es?

Ein deutschlandweit tätiges Outdoorunternehmen hatte von der Aufsichtsbehörde (hier: Amt für Arbeitsschutz in Hamburg) die Anordnung erhalten, die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden aller Beschäftigten nachvollziehbar aufzuzeichnen. Das Unternehmen sollte aufgrund der Anordnung sicherstellen, dass aus diesen Aufzeichnungen mindestens

  • der tägliche Arbeitsbeginn,
  • das Arbeitsende und
  • die Dauer der täglichen Arbeitszeit der Mitarbeitenden

hervorgeht.

Gegen die Anordnung klagte das Unternehmen vor dem Verwaltungsgericht.

Hintergrund

Die Mitarbeiter des betreffenden Unternehmens führen bis zur Teamleiterebene bereits Aufzeichnungen zur Arbeitszeit. Die Beschäftigten auf Teamleiter- und Abteilungsleiterebene arbeiten dagegen weitgehend im Rahmen einer Vertrauensarbeitszeit und nehmen in der Regel nicht an der Zeiterfassung teil.

Auf eine anonyme Beschwerde hin hatte das Amt für Arbeitsschutz eine unangekündigte Betriebsbesichtigung am Verwaltungssitz des Unternehmens durchgeführt. Im Rahmen der Befragung von Beschäftigten stellte die Behörde fest, dass etwa ein Drittel der Beschäftigten dieses Standortes in Vertrauensarbeit tätig ist und ihre Arbeitszeit nicht erfassen. Daraufhin erging die o.g. Anordnung der Aufsichtsbehörde.

Das Unternehmen war der Auffassung, für eine solche Anordnung fehle es an einer gesetzlichen Grundlage, denn das Gesetz schreibe die Aufzeichnung der Arbeitszeit nicht vor. Die Behörde beruft sich jedoch auf den o.g. Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 13.09.2022, wonach die Aufzeichnungspflicht aus einer unionsrechtskonformen Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG folge. Es sei daher nicht erforderlich, dass der Gesetzgeber zusätzlich tätig werde.

Das Urteil des VG Hamburg

Das VG Hamburg hat die Klage abgewiesen und hielt die Anordnung für rechtmäßig.

Rechtsgrundlage für die Anordnung der Behörde zur vollständigen Erfassung der Arbeitszeit aller Beschäftigten ist dem VG Hamburg zufolge § 22 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 ArbSchG. Danach könne die Behörde im Einzelfall anordnen, welche Maßnahmen der Arbeitgeber zur Erfüllung der Pflichten aus dem ArbSchG und der auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen zu treffen habe. Bei dieser Vorschrift handelt es sich dem Gericht zufolge um eine Generalklausel zur Beseitigung aller bevorstehenden oder andauernden Verstöße gegen das ArbSchG und der darauf beruhenden Rechtsverordnungen. Gegenstand einer auf ihr beruhenden Anordnung könnten alle Maßnahmen sein, die der Durchsetzung der Arbeitgeberpflichten aus dem ArbSchG und damit auch der vom BAG herangezogenen Norm des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG dienen. Einer gesonderten gesetzlichen Umsetzung dieser Pflicht bedürfe es nicht. Die Behörde durfte rechtmäßig anordnen, dass die gesamte Arbeitszeit erfasst werden muss.

II. Auswirkungen auf die Praxis

Die Entscheidung des VG Hamburg ist insofern beachtenswert, als dass es sich um die erste verwaltungsgerichtliche Entscheidung zur Durchsetzung der Aufzeichnungs- und Dokumentationspflicht der Arbeitszeit nach dem Beschluss des BAG zur Arbeitszeiterfassungspflicht handelt. Die gute Nachricht für Betriebe, die vorerst an der Vertrauensarbeitszeit festhalten möchten: Solange hierbei die Einhaltung des § 16 Abs. 2 ArbZG sichergestellt ist, droht nicht unmittelbar ein Bußgeld. Bei einer Kontrolle der Aufsichtsbehörde besteht aber durchaus die Möglichkeit, dass die Aufzeichnungspflicht per Verwaltungsakt angeordnet wird. Dann kann ein Bußgeld i.H.v. bis zu 30.000,- € je Verstoß verhängt werden, wenn die Aufzeichnungspflicht nicht innerhalb angemessener Zeit umgesetzt wird.

Das Urteil des VG Hamburg stellt insofern klar: Eine solche Anordnung der Behörde hält es für rechtmäßig, auch wenn die Aufzeichnungspflicht nicht ausdrücklich im ArbZG geregelt ist.

Fazit also: Das viel diskutierte Urteil des BAG aus 2022 zur Arbeitszeiterfassung bedeutet nicht den Tod der Vertrauensarbeitszeit. Dort, wo die Arbeitsschutzbehörde kontrolliert, kann sie aber dafür sorgen, dass der Vertrauensarbeitszeit durch die Anordnung einer Aufzeichnungspflicht die Grundlage entzogen wird.

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Inga Leopold und wissenschaftliche Mitarbeiterin Maike Usadel

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