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BAG: Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung dürfen im Kündigungsschutzprozess verwertet werden

27. Juli 2023

BAG: Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung dürfen im Kündigungsschutzprozess verwertet werden

Arbeitgeber können Bereiche ihres Betriebes unter bestimmten Voraussetzungen videoüberwachen. Gesetzliche Einschränkungen ergeben sich in erster Linie aus der Datenschutz-Grundverordnung (DS-GVO) sowie aus dem Bundesdatenschutzgesetz (BDSG). Wenn Videoaufnahmen unter Verstoß gegen geltende Datenschutzbestimmungen zustande gekommen oder gespeichert worden sein, stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber die Aufnahmen gleichwohl als Beweis für Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers im Kündigungsschutzprozess nutzen darf.

Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass dies zulässig sein kann (Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22).

Wann darf eine Videoüberwachung installiert werden?

Zunächst ist zwischen einer heimlichen und einer offenen Videoüberwachung zu differenzieren. Offen ist eine Videoüberwachung, wenn durch Beschilderung auf das Vorhandensein von vollständig einsehbaren Kameras hingewiesen wird. Diese Art der Videoüberwachung wird nachfolgend beleuchtet, da sie Gegenstand des BAG-Urteils ist. An die heimliche Videoüberwachung werden aufgrund des weitreichenderen Eingriffs in die Persönlichkeitsrechte der aufgenommenen Personen deutlich strengere Anforderungen gestellt.

Grundsätzlich gilt, dass der Arbeitgeber ein berechtigtes Interesse an der Videoüberwachung haben muss. Im Ergebnis hängt die Zulässigkeit der Videoüberwachung aufgrund der erheblichen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung der Betroffenen (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) stets von einer einzelfallbezogenen Interessenabwägung ab. Eine Überwachung rein zur Verhaltens- oder Leistungskontrolle der Mitarbeitenden ist unzulässig. Ein berechtigtes Interesse kann aber beispielsweise für solche Bereiche des Betriebes bestehen, in denen typischerweise Rechtsverstöße durch Mitarbeitende und/oder Kunden begangen werden könnten, wie z.B. Diebstahl auf Verkaufsflächen und in Kassenbereichen. Die Anhaltspunkte, die für eine Videoüberwachung sprechen, sollten in jedem Fall dokumentiert werden.

In Bereichen wie Umkleiden, Sanitär-, Pausen-, Sozial- und Aufenthaltsräumen ist eine Videoüberwachung stets unzulässig.

Beachten Sie: Der Betriebsrat hat bzgl. der Einführung und Anwendung von Videoüberwachungsanlagen ein Recht zur Mitbestimmung gem. 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Anzuraten ist daher der Abschluss einer entsprechenden Betriebsvereinbarung, sofern ein Betriebsrat besteht.

Der Fall

Der gegen seine Kündigung klagende Arbeitnehmer war als Teamsprecher in einer Gießerei eingestellt. Ihm wurde vorgeworfen, im Juni 2018 eine Nachtarbeitsschicht nicht geleistet zu haben. Er habe Arbeitszeitbetrug begangen, da er das Betriebsgelände noch vor Beginn seiner Schicht verlassen und gleichwohl Vergütung dafür erhalten habe. Kenntnis von dem Verhalten des Arbeitnehmers erlangte die Arbeitgeberin durch einen anonymen Hinweis auf die Aufzeichnungen der Videokamera am Tor des Werksgeländes. Sie sprach daraufhin eine außerordentliche, fristlose Kündigung und hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus.

Im Kündigungsschutzverfahren wandte der Arbeitnehmer ein, dass die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung nicht berücksichtigt werden dürften. Grund hierfür sei, dass die Hinweisschilder zur Videoüberwachung eine Speicherdauer von 96 Stunden auswiesen, die hier überschritten worden sei.

In den ersten beiden Instanzen hatte der Arbeitnehmer noch gewonnen. Die Kündigungen wurden für unwirksam befunden. Das Bundesarbeitsgericht hob die Urteile auf die Revision des Arbeitgebers allerdings auf und verwies den Fall zurück zum Landesarbeitsgericht, das ihn jetzt noch einmal überprüfen muss.

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Die Entscheidung des BAG liegt aktuell lediglich in Form einer Pressemitteilung vor. Darin wird ausgeführt, dass es keine Rolle spielt, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers und damit die Verwendung der Videoaufnahmen als Beweismittel durch die Gerichte nach der DSGVO nicht ausgeschlossen. Die Gerichte müssen die Interessen der Streitparteien abwägen und in einen angemessenen Ausgleich bringen. Sofern es – wie hier – um die Datenverarbeitung durch eine offene Videoüberwachung und einen vorsätzlichen Pflichtverstoß des Arbeitnehmers geht, wiegt das Aufklärungsinteresse des Arbeitgebers höher als die Datenschutzinteressen des Arbeitnehmers.

Auswirkungen auf die Praxis

Das BAG bleibt seinem in früheren Entscheidungen geäußerten Grundsatz „Datenschutz ist kein Täterschutz“ mit der hier besprochenen Entscheidung treu. Beweise, die unter einem Verstoß gegen Datenschutzrecht erlangt werden, unterliegen damit keinem universellen Verwertungsverbot. Das gilt jedoch nur so lange, wie durch die Gewinnung der Beweise keine Grundrechtsverletzungen oder gravierenden Datenschutzverstöße begangen wurden. In solchen Fällen kann eine Beweisverwertung trotz vorsätzlichem Pflichtverstoß des Arbeitnehmers also ausgeschlossen sein.

Vorsicht ist dennoch geboten, da die Frage nach der Beweisverwertung stets im Einzelfall anhand einer Abwägung der Interessen der Betroffenen zu beantworten ist und pauschale Aussagen zur Verwertbarkeit damit unmöglich sind.

Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht Inga Leopold und stud. iur. Maike Usadel

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