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Arbeitsunfall oder privates Risiko? Wie die Rechtsprechung zeigt, steckt bei der Abgrenzung der Teufel oft im Detail.

28. Juli 2019

Der Arbeitsunfall und die daraus resultierenden Ansprüche des Verunfallten sind im 7. Buch des SGB geregelt. Es umfasst u.a. Ansprüche auf Heilbehandlung, Verletztengeld und Rentenansprüche im Falle der Erwerbsminderung. Die Kosten hierfür trägt – anders als bei privaten Unfällen – nicht die Krankenkasse oder Rentenversicherung, sondern die zuständige Berufsgenossenschaft. Beim Arbeitsunfall ist die Behandlungsqualität häufig besser und sind die Ersatzleistungen höher. Die Anerkennung des Geschehens als Arbeitsunfall hat daher unmittelbare Vorteile für den Verletzten.

Ein Arbeitsunfall liegt allerdings nur dann vor, wenn sich das Ereignis im Rahmen der versicherten Tätigkeit ereignet hat. Hierzu gehört insbesondere die berufliche Tätigkeit selbst und der Hin- und Rückweg zu der Arbeitsstätte. Nicht umfasst sind dagegen diejenigen Unfälle, die im häuslichen Bereich oder während der Ausübung einer privaten Tätigkeit geschehen. Eine Abgrenzung zwischen beiden Bereichen ist nicht immer einfach und stellt für die Rechtsprechung immer wieder eine Herausforderung dar.  

Spaziergang in der Mittagspause

Das Hessische Landessozialgericht (LSG) hatte am 24.07.2019 (Az: L 9 U 208/17) über einen Fall zu entscheiden, in dem sich der Arbeitnehmer während der Mittagspause verletzte. Er verließ das Bürogebäude, machte einen Spaziergang und stolperte während dieses Spaziergangs über eine Steinplatte. Dabei zog er sich Verletzungen am Knie und an den Handgelenken zu. Der Arbeitnehmer war der Auffassung, der Spaziergang sei aufgrund seiner hohen Arbeitsbelastung erforderlich gewesen, um seine Arbeit fortzusetzen. Er forderte dementsprechend die Anerkennung des Vorfalls als Arbeitsunfall.

Das Gericht lehnte dies ab und folgte der Auffassung der Berufsgenossenschaft, nach der das Spazierengehen während der Pause rein privater und eigenwirtschaftlicher Natur und eben keine Haupt- oder Nebenpflicht aus dem Beschäftigungsverhältnis ist. Zudem sei der Kläger keiner besonderen Arbeitsbelastung ausgesetzt, die einen Versicherungsschutz ausnahmsweise auch für den Spaziergang rechtfertigen würde. Vielmehr sei der Spaziergang mit essen, trinken oder fernsehen in der Mittagspause vergleichbar.

In diesem Fall war die Abgrenzung zwischen privater und beruflicher Tätigkeit noch relativ unproblematisch. Die jüngste Rechtsprechung der Sozialgerichte zeigt aber, dass eine Abgrenzung dazu, wann das Berufliche endet und das Private beginnt, häufig ein besonderes Fingerspitzengefühl erfordert.      

Verfolgung eines Diebes während einer Dienstreise

Einen exotischeren Fall hatte das LSG Hessen am 11.03.2019 (Az: L 9 U 118/18) zu entscheiden.

In diesem Sachverhalt nahm der Kläger an einem Kongress seiner Arbeitgeberin in Barcelona, also an einer Dienstreise teil. Der offizielle Teil der Veranstaltung endete mit einem gemeinsamen Abendessen der Kongressteilnehmer um ca. 23:00 Uhr. Anschließend besuchte der Kläger gemeinsam mit seinen Kollegen eine Bar. Als er gegen 5:00 Uhr morgens den Rückweg zum Hotel antrat, wurde ihm die Brieftasche entwendet. Der Kläger verfolgte den Dieb, um seine Brieftasche wiederzuerlangen. Während dieser Verfolgung stürzte er und zog sich dabei eine Fraktur im Ellenbogenbereich zu.

Nach seiner Rückkehr meldete er den Vorfall der Berufsgenossenschaft. Diese lehnte jedoch eine Anerkennung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, weil die betriebliche Tätigkeit des Klägers mit dem Ende des gemeinsamen Abendessens gegen 23:00 Uhr beendet worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei der Versicherungsschutz nicht mehr gegeben. Zudem sei der Schaden nicht bei dem Diebstahl am Taxistand, sondern erst bei der anschließenden Verfolgung des Diebes entstanden.

Die Vorinstanz wies die Klage ab und wurde vom LSG im Ergebnis bestätigt. Die Verfolgung des Diebes stand in keinem inneren oder sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit. Die dabei erlittene Verletzung war daher kein Arbeitsunfall.

Anders als die 1. Instanz sah das LSG aber den Rückweg des Klägers ins Hotel um 5:00 Uhr morgens noch als versichert an, obwohl der offizielle Teil der Veranstaltung bereits zuvor geendet hatte. Das LSG betonte, dass der Besuch der Bar zwar nicht in einem inneren Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis stand und somit auch nicht dem Versicherungsschutz unterlag. Bei dem Rückweg ins Hotel würde der Versicherungsschutz aber wiederaufleben, weil ab dann der innere Zusammenhang mit der im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorgenommenen Dienstreise wiederhergestellt worden sei. Die Tatsache, dass zwischen dem offiziellen Ende der Veranstaltung und der Rückfahrt ins Hotel ein mehrstündiger Aufenthalt in einer Bar lag, beeinflusse das Bestehen des Versicherungsschutzes während des Rückwegs ins Hotel nicht.

Der Versicherungsschutz sei aber im konkreten Fall nicht gegeben, weil der Kläger die Verletzung nicht auf dem Rückweg selbst, sondern während der Verfolgung des Diebes erlitten hatte. Der Kläger habe zum Unfallzeitpunkt allein gehandelt, um seine Brieftasche wiederzuerlangen. Ein innerer und sachlicher Zusammenhang zu der beruflichen Tätigkeit fehlte zu diesem Zeitpunkt. Die Verfolgung des Diebes stelle auch keine geringfügige Unterbrechung des Rückweges ins Hotel dar. Vielmehr lag nach Auffassung des LSG eine deutliche Zäsur zwischen dem (beruflichen) Rückweg ins Hotel und der (rein privaten) Verfolgung des Diebes.

Unfallort Homeoffice

Auch das Bundessozialgericht (BSG) war bereits mehrfach mit der Abgrenzung zwischen einer versicherten und unversicherten Tätigkeit befasst. Besonders schwierig zu beurteilen waren dabei die Verletzungen, die im Zusammenhang mit der Arbeit im Homeoffice entstehen, weil dort die Grenze zwischen der beruflichen und privaten Tätigkeit oft nicht klar verläuft.

So sah das BSG beispielsweise mit Urteil vom 27.11.2018 (Az. B 2 O 28/17 R) einen Arbeitsunfall als gegeben an, als die Klägerin auf der Kellertreppe ihres Hauses auf dem Weg zu dem im Kellerraum eingerichteten Arbeitsplatz ausgerutscht war. Die Klägerin legte nach Auffassung des BSG zum Unfallzeitpunkt einen versicherten Betriebsweg im Sinne der § 8 Abs. 1 Satz 1, § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zurück, denn durch das Betreten der Treppe verließ sie den unversicherten häuslichen Lebensbereich.

Anders beurteilte das BSG die Situation in einem am 05.07.2016 (Az. B 2 O 5/15 R) entschiedenen Fall. Hier befand sich der Arbeitsplatz der Klägerin im Dachgeschoss des Wohngebäudes der Klägerin. Sie ging von ihrem Arbeitsplatz zur Küche im Erdgeschoss , um sich etwas zu trinken zu holen und rutschte dabei auf der Treppe aus. Das BSG lehnte eine Einordnung des Ereignisses als Arbeitsunfall ab, weil das Hinabsteigen der Treppe in einem typischen eigenwirtschaftlichen Interesse erfolgte. Die Klägerin hatte zum Zeitpunkt des Unfalls ihre Arbeitsstätte verlassen und beim Betreten der Treppe den häuslichen (unversicherten) Lebensbereich erreicht.

Noch häuslicher Bereich oder schon Arbeitsweg?

Einen kuriosen Fall hatte das BSG am 31.08.2017 (Az. B 2 U 2/16 R) zu entscheiden. Als dem Kläger seine im 2. Stock gelegene Wohnung verlassen und zur Arbeitsstätte fahren wollte, brach ihm in der Wohnung der Schlüssel ab und die Wohnungstüre ließ sich nicht mehr öffnen. Um seinen Termin auf der Arbeitsstelle nicht zu verpassen, kletterte der Kläger über ein Fenster aus der Wohnung und sprang anschließend auf das Flachdach der Wohnung im 1. Stock. Bei diesem Sprung zog sich der Kläger einen Beckenknochenbruch zu.

Die 2. Instanz hatte die Klage abgewiesen, weil der Dachbereich zwischen dem Fenster der Klägerischen Wohnung und dem Flachdach noch ein Teil des häuslichen Bereichs und damit kein Teil des Arbeitsweges sei. Der Versicherungsschutz auf Wegen beginne grundsätzlich erst mit dem Durchschreiten der Außentür des Gebäudes, durch die der häusliche Bereich verlassen werde. Nur ausnahmsweise sei ein Schutz auf den Alternativwegen gegeben. Hier hätte der Kläger den häuslichen Bereich allerdings erst nach dem weiteren Abstieg vom Flachdach im 1. Stock auf den Boden verlassen und dazu sei es nicht mehr gekommen.

Das BSG sah dies anders und gab dem Kläger Recht, weil dieser mit dem Durchsteigen der Fensteröffnung den „Startpunkt“ des versicherten Weges passiert und damit zugleich den häuslichen Bereich verlassen habe. Er habe sich daher im Unfallzeitpunkt auf den Ort der versicherten Tätigkeit zubewegt, als er versuchte, sich auf das Flachdach der Wohnung des 1. Stocks herabzulassen. Da die Außenhaustür aufgrund des abgebrochenen Schlüssels nicht erreichbar war, habe er sich auf dem einzig verfügbaren und damit auf dem direkten Weg zu seiner Betriebsstätte befunden, sodass er im Unfallzeitpunkt den unmittelbaren Weg zum Ort der Tätigkeit zurücklegte. Auch die Tatsache, dass die Blutuntersuchung nach dem Unfall einen positiven Drogenbefund ergab, beeinflusste die Entscheidung des BSG nicht, weil sich eine konkrete Beeinträchtigung der Wahrnehmungsfähigkeit des Klägers im Unfallzeitpunkt nicht feststellen ließ.

Fazit

Die beschriebenen Fälle zeigen, dass die Einordnung eines Ereignisses als Arbeitsunfall oft Schwierigkeiten bereitet und insbesondere eine präzise Untersuchung des Unfallgeschehens erfordert. Über die Frage, ob ein Arbeitsunfall vorliegt oder nicht, entscheiden manchmal nur Sekundenbruchteile oder wenige Zentimeter.

Autor dieses Beitrags:

Radoslaw Kleczar, Rechtsanwalt


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